Indien: Assam 1 Euro = 70 Rupien
Samstag, 17. Oktober 15, Tag 7/162: Manas River
Zügig geht es auf der Autobahn in der Brahmaputra-Tiefebene weiter ostwärts. Nur sicherheitshalber, damit keine Missverständnisse aufkommen: Es ist eine indische Autobahn. Also mit unabgesicherten Baustellen, Gegenverkehr, Rad- und Motorradfahrern, Fußgängern, Kühen und Ziegen. Sie führt auch durch Dörfer, in denen Busse und Sammeltaxis halten und Querstraßen kreuzen, denen wir Vorrang geben sollten. Aber an Verkehrsschilder hält sich hier ohnehin niemand. Insgesamt ist der Verkehr aber eher mäßig und es lässt sich entspannt fahren. Die Route führt durch Reis- und gelegentlich Teefelder, niedrige Wälder mit reichlich Bananenstauden und Palmen. An der Straße stehen bunt blühende Büsche und Stauden. In Bongaigaon fahren wir ins Stadtzentrum, finden auf Anhieb einen Bankomaten, der uns Geld gibt (das ist nicht selbstverständlich) und finden auch sofort einen Reifenladen, der einen Reifen in fast der richtigen Größe hat. Unseren defekten Reifen verkaufe ich um 100 Rupien an einen der Reifenmonteure, der vor Freude strahlt, weil er so ein tolles Schnäppchen gemacht hat. Zu Mittag fahren wir dann zum Manas-Nationalpark an der Grenze zu Bhutan. Wir wollen noch vor dem Gate am Manas-River übernachten, doch die Parkranger bestehen darauf, dass wir bei Ihnen im Camp vor dem Park nächtigen. So fahren wir nur zum Relaxen an den Fluss, Susi erspäht auf der Fahrt dorthin schon ein Panzernashorn. Wir verbringen ein paar faule Stunden am Ufer im Schatten unseres Autos. So richtig gewöhnt haben wir uns an die Hitze noch nicht. Der Schweiß läuft und läuft und läuft. Kurz vor Sonnenuntergang übersiedeln wir ins Camp, wo gerade noch Zeit zum Duschen ist, dann kommen die Mücken und wir verziehen uns ins Auto. Wir können uns nicht vorstellen, wie die Leute hier bei dieser Mückenplage im Freien herumsitzen können. Km 206/1.039/39.651.
Sonntag, 18. Oktober 15, Tag 8/163: Manas Nationalpark
Der Chefranger, mit dem ich gestern gesprochen habe, hat uns erklärt, wir dürfen nur in Begleitung eines bewaffneten Rangers in den Park. Heute ist ein anderer Ranger im Dienst, der einfach fragt, ob wir eine Eskorte wollen oder nicht. Ich verneine, bezahle die Eintrittsgebühr (500 Rupien = 7 EUR p.P. plus 30 Rupien = 4,30 EUR für's Auto plus 500 Rupien für die Mitnahme einer Fotokamera, die ich mich weigere zu bezahlen, geht dann gerne auch ohne) und los geht unsere Safari. Bis ans nördliche Ende des Parks direkt an der Grenze zu Bhutan sind es zirka 16 Kilometer durch niedrigen Urwald, auf denen wir einen Marder und ein paar Vögel sehen. Schmetterlinge könnte man der Vollständigkeit halber noch aufführen. An der Grenze endet der Weg am Manas River, an dessen jenseitigem Ufer (drüben reicht der Park noch viel weiter) ein Elefant steht und äst. Endlich ein Wildtier! Doch ein Blick durch das Fernglas zeigt, dass wir uns täuschen: Der Elefant hat die Vorder- und Hinterbeine mit Ketten aneinander gebunden. Unglaublich, wie mit den Elefanten im Nationalpark umgegangen wird! Den Großteil des Rückwegs legen wir auf einem flussnahen Weg zurück, doch auch hier ist die Ausbeute unserer Safari gering: Wir sehen einen Leguan und einen Wiedehopf. Ein wenig enttäuscht verlassen wir am Nachmittag den Park und fahren noch ein Stück ostwärts. Wie schon an den letzten Tagen sehen wir, dass vielerorts Tempelattrappen aus Bambusgerüsten und Unmengen Stoff für ein Festival errichtet und bunt bemalte Götterfiguren dorthin transportiert werden. Kurz vor Hajo übernachten wir auf einem freien Platz in einem Straßendorf. Immer wieder, auch nachdem wir uns bei Einbruch der Dunkelheit ins Auto zurückgezogen haben, kommen junge Burschen und wollen wissen, wo wir herkommen, aha Australia, wo wir hinwollen, was das für ein Auto ist, so eines haben sie noch nicht gesehen. Km 137/1.175/39.788.
Montag, 19. Oktober 15, Tag 9/164: Guwahati
Nicht viele Touristen verlaufen sich in die Ostprovinzen Indiens und so ist unsere Abfahrt vom Nachtplatz die Attraktion, der zahlreiche Menschen beiwohnen. Bald sind wir in Hajo, wo wir einen der fünf auf Hügeln um den Ort gelegenen Tempel ansehen. Susi muss leider unten bleiben, sie sieht sich außer Stande, die lange Treppe hinauf zu bewältigen; eine ihrer Bandscheiben beschert ihr starke Schmerzen. Der älteste Teil des Tempels ist ein ungewöhnlicher Kuppelbau, in dem es so dunkel ist, dass man die Statuen darin nur schwer erkennen kann. Vom Hügel hat man einen schönen Blick auf den darunter liegenden Teich und den Palmenhain dahinter. Durch zahllose Straßendörfer fahrend erreichen wir den Brahmaputra, den wir auf einer Doppelbrücke (unter uns fährt die Eisenbahn) überqueren. Die Tempel-Atrappen sehen immer echter aus und oft wissen wir nicht, ob ein Tempel aus Stein oder Stoff gebaut ist. In Guwahati besuchen wir die etwas außerhalb auf einem Berg gelegene Hindu-Pilgerstätte Kamakhya Mandir, wo wir mit Müh und Not einen Parkplatz ergattern. Mit dem Strom der Pilger gelangen wir zum mit hunderten Tagetes-Ketten geschmückten Tor der Anlage, wo man die Schuhe ausziehen muss. Die Pilger stellen sich in langen Schlangen in käfigartigen Gängen an, um ins Innerste des Haupttempels zu gelangen, einen an eine Gebärmutter erinnernden rot gefärbten Raum. Wer ein Ticket löst, kann nach deutlich kürzerer Wartezeit eintreten, doch auch hier ist uns viel zu viel Menschengewühl und so lassen wir den Uterus einfach aus. Das Treiben ist auch so total beeindruckend und wer Freude hat, beim Opfern von Tieren zuzusehen, kommt hier voll auf seine Kosten. In Guwahati finden wir das einzige im Reiseführer beschriebene Lokal mit internationaler Küche, die sich allerdings auf Fish and Chips beschränkt. Beides genießen wir sehr, denn das Asia-Food verliert schon irgendwie seine Faszination. Auch einen Supermarkt können wir aufspüren, denn Sodawasser ist sonst kaum wo zu kriegen. Nun besuchen wir noch den Pobitora-Nationalpark, der wegen seiner Panzernashornpopulation berühmt ist und durch einen kleinen Umweg erreichbar ist. Leider öffnet der Park erst im November, aber wir haben Glück im Unglück: Auf der Weiterfahrt sehen wir zehn bis zwölf Nashörner von der Straße aus. Phantastisch! Nach einer Stunde ostwärts auf der Autobahn übernachten wir an einem Truck Terminal, einer riesigen betonierten Fläche, offensichtlich gedacht zum Abstellen von LKW, mit angrenzenden unfertigen Bauten und einem winzigen "Restaurant", das ausschließlich Bier und Spirituosen in Flaschen verkauft. Km 151/1.327/39.939.
Dienstag, 20. Oktober 15, Tag 10/165: Kaziranga
Erstaunlicher Weise bleibt es auf dem Truck Terminal die Nacht über ruhig, kein einziger LKW hat sich hierher verirrt. Zuerst auf Autobahn, später auf einfacheren Straßen verschiedenen Zustandes fahren wir weiter ostwärts. Die Festivals scheinen ihrem Höhepunkt näher zu kommen. Die Stofftempel, oftmals mehrere in einem Ort, sind fertig, im Inneren mit Altären, Blumen und bunten Figuren geschmückt und oft dröhnt laute Musik heraus. Rundherum sind Verkaufsstände für Souvenirs, Spielzeug und Essen aufgebaut. Wir passieren den am Südufer des Brahmaputra gelegenen Kaziranga-Nationalpark, der dafür berühmt ist, dass hier zwei Drittel der weltweit noch existierenden 2.700 Panzernashörner leben. Wir wissen, dass der Park erst im November öffnet, da viele Wege nach der Regenzeit noch überflutet sind. Doch auch von der vorbei führenden Fernstraße sind jenseits eines Flusses einige Nashörner, Büffel und eine große Elefantenherde zu beobachten. In Jorhat finden wir einen ruhigen Platz auf einem Damm nahe des Brahmaputra, wo wir den Nachmittag im Schatten des Zerberus vertrödeln und, weil der Platz so nett ist, auch gleich übernachten. Heute haben wir 40.000 Kilometer zurückgelegt, seit wir vor eineinhalb Jahren von zu Hause abgefahren sind. Km 245/1.572/40.184.
Überfall
Es ist 21 Uhr 30, als jemand sehr laut ans Auto klopft. Mehrere Stimmen sind draußen zu hören. Ich sage "one moment please", ziehe eine Hose an und öffne die Tür. Draußen stehen vier junge Männer, die wild gestikulieren und offensichtlich ein wenig alkoholisiert oder auf Drogen sind. Ich sage "Namaste", aber das stimmt sie nicht freundlich. Ich frage, was sie wollen, doch sie verstehen mich nicht und auch ich verstehe ihre Sprache nicht. Sie machen einen gewaltbereiten Eindruck und mir ist nicht klar, was sie wollen. Sind sie nur neugierig und wollen sie das Innere des Autos sehen? Ich lasse einen reinsehen, doch das ist anscheinend nicht ihr Begehr. Sie werden immer wilder und letztlich drischt einer mit einem kopfgroßen Stein zweimal auf unsere Windschutzscheibe, die splitternd zerbricht, aber stehen bleibt. Dann vertrollen sich die Typen und wir verlassen fluchtartig den Platz. Bald erreichen wir eine Siedlungsstraße und ich halte an einem Haus, das sehr gepflegt aussieht und an dem noch Licht brennt. Wir dürfen sofort den Zerberus in den Garten fahren, werden ins Haus gebeten und erzählen im Kreis der Großfamilie unser Erlebnis. Man beschließt, die Polizei zu rufen. Bis diese eintrifft, müssen wir uns mit allen fotografieren lassen, weitere Familie kommt und will ebenso Fotos mit uns. Dann kommen endlich drei Mann Polizei, ich erzähle wieder, schließlich kommt noch der Chef der Polizisten und ich erzähle nochmals. Der Chef ordnet an, dass wir im Hof eines Amtsgebäudes übernachten müssen, wo wir absolut in Sicherheit seien. Morgen wird er sich um eine Reparatur bemühen. Wir folgen also dem Polizeiwagen ins Stadtzentrum und begeben uns dort erneut zur Ruhe. Nur kurz allerdings, denn eine halbe Stunde später klopft es erneut, die ersten Reporter stehen vor der Tür. Das ist ja unglaublich! Ich sage denen, dass wir jetzt schlafen wollen, sie sollen morgen wieder kommen. Km 9/1.581/40.193.
Mittwoch, 21. Oktober 15, Tag 11/166: Jorhat
Nach unruhigem Schlaf stehen wir früh auf und warten. Gegen 9 kommen Journalisten und drei Kamerateams von lokalen Fernsehsendern und interviewen uns. Wir schildern den Vorfall, legen aber Wert auf die Feststellung, dass so etwas überall auf der Welt passieren kann und wir von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Inder, der Menschen in Assam im speziellen und der Professionalität der Polizei beeindruckt sind. Manche Reporter interessieren sich speziell für unsere Art zu reisen und können es gar nicht fassen, dass wir mit dem Auto "on road" hierher gefahren sind. Die nächsten gut zwei Stunden nimmt mich die Polizei mit einer erneuten Befragung in Anspruch, zu der immer noch höhere Polizeioffiziere erscheinen, sogar der stellvertretende Polizeikommandant des Distrikts. Dann überraschen uns ein Kamerateam mit Übertragungswagen und später noch ein Reporter des Telegraph, einer angesehenen in Kalkutta erscheinenden Zeitung. Wir sind verblüfft ob des großen Medieninteresses. Wir erfahren nun auch, dass der Überfall auf Facebook eine Lawine losgelöst hat, viele Menschen sprechen uns Mut zu, entschuldigen sich für ihre Landsleute, die uns überfallen haben. Die Distriktspolizeipräsidentin hat sogar eine Pressekonferenz gegeben. Die Polizei macht sich auch auf die Suche nach einer Werkstatt, die unsere Scheibe reparieren kann, ein wegen der Feiertage schwieriges Unterfangen. Etwas anderes als eine notdürftige Reparatur kommt für uns ohnehin nicht in Frage, denn in einer Woche müssen wir in Myanmar einreisen, dazu brauchen wir zumindest zwei volle Fahrtage und bis Freitag lässt sich eine Scheibe aus Österreich garantiert nicht einfliegen. Die Sicht ist im wesentlichen nur auf der Beifahrerseite eingeschränkt und es geht in erster Linie darum, zu verhindern, dass die Scheibe während der Fahrt ins Auto reinzerbröselt. Am Nachmittag kommt dann ein Mechaniker, der ganz gute Ideen präsentiert. Wir fahren mit Polizeieskorte in seine Werkstatt, wo er aus Plexiglas eine halbe Windschutzscheibe anfertigt und mit Zweikomponentenkleber auf die gebrochene Scheibe aufklebt und mit Leinen anpresst. Leider verwendet er zudem eine Menge Silikon und dort, wo sich Kleber und Silikon vermengen, wird's wohl nicht kleben, befürchte ich. Während des ganzen Tages sind fünf, sechs Polizisten für uns abgestellt. Es ist schon dunkel, als wir wieder zum Amtsgebäude kommen. Über Nacht muss der Kleber trocknen und morgen sehen wir weiter. Km 6/1.587/40.199.
Donnerstag, 22. Oktober 15, Tag 12/167: Jorhat
Am Vormittag hören wir, dass wir sogar in einem Newsflash im gesamtindischen Fernsehen zu sehen waren. Unglaublich! Eine Nation schämt sich, weil Gästen etwas zugestoßen ist. Der Mechaniker, der zwischen neun und zehn erscheinen wollte, lässt uns bis elf warten. Wir nehmen die Bandagen ab und siehe da, das Plexiglas bleibt doch irgendwie an der Windschutzscheibe picken, zwar bei weitem nicht überall, aber immerhin. An manchen Stellen gibt es bis zu vier oder fünf Millimeter Spalt. Den füllt er jetzt mit Silikon, damit der Fahrtwind nicht unters Plexiglas eindringen kann. Nun wird innen noch dünne, durchsichtige Folie an die Scheibe geklebt, teils in mehreren Lagen. Und fertig. Wie lange das hält, weiß keiner, wir werden es einfach sehen. Wir haben jedenfalls beschlossen, sicherheitshalber nicht durch die Bergdörfer Nagalands nach Kohima zu fahren, weil die durch schlechte Straßen miteinander verbunden sind, sondern stattdessen ein Stück auf der Fernstraße zurück und dann auf der Hauptstraße. Wir verabschieden uns beim Chef der Polizeistation und bedanken uns sehr herzlich, weil die Polizei für die Kosten der Reparatur aufkommt. Eine Polizeieskorte soll uns nun bis zur Stadtgrenze bringen, da ja im Zentrum noch immer das mehrtägige Hindu-Fest Durga-Puja tobt und tausende Menschen auf den Straßen sind. Wir haben aber noch einiges zu erledigen, müssen ins Internet-Cafe, ein paar Dinge einkaufen und nicht zuletzt uns von der Familie verabschieden, die uns nach dem Überfall geholfen hat, das alles mit Eskorte und Sirene. Der Vater der jungen Familie ist gestern und heute immer wieder bei uns aufgetaucht und hat sich erkundigt, ob wir etwas brauchen. Der Abschied ist sehr herzlich. An der Stadtgrenze verabschieden wir uns dann noch von den Polizisten und von Singh, dem Mechaniker, der eigentlich Motorkonstrukteur ist, und unsere Scheibe nur deshalb repariert hat, weil er einer der wenigen war, die zu den Feiertagen in ihrer Werkstätte gearbeitet haben. Singh ist Sikh und nimmt daher am Hindu-Fest nicht teil. Von ihm erfahren wir ganz zuletzt, dass nicht wirklich die Polizei die Kosten der Reparatur bezahlt. Ich hatte so etwas bereits vermutet: Niemand bezahlt. Auch wir nicht, da Singh keine Bezahlung von uns annimmt. Recht weit kommen wir heute nicht mehr, denn in allen Dörfern ist die Durchfahrt kaum möglich, weil die Straße voller Menschen ist. Immer wieder rufen Leute, dass sie uns im TV gesehen hätten. In der Nacht ist es erstmals ein klein wenig kühler, wir benötigen ein dünnes Leintuch zum Zudecken. Bis weit in die Nacht hinein ist der Lärm des Puja-Festes aus einem nahen Dorf hörbar. Km 75/1.653/40.274.